Bedürfnisorientiert, bindungsorientiert und am Besten auch noch beziehungsorientierte Erziehung: Mit diesen Begriffen und Konzepten werden heutzutage so gut wie alle Eltern konfrontiert. Wenn man sich die Ursprünge dieser Umgangsform etwas genauer anschaut und zurück verfolgt, so stößt man unumgänglich auch auf das Konzept des Attachment Parenting. Diesen Begriff haben der US-amerikanische Kinderarzt Dr. William Sears und seine Frau Martha Sears in der heute bekannten Form stark geprägt und bekannt gemacht.
Die Kernkompetenz hinter Attachment Parenting liegt in der Kommunikation zwischen Eltern und Kind. Im Prinzip ist es ein reagierendes Erziehen: das Baby gibt Signale von sich, die Eltern reagieren darauf. Und zwar so, wie es in dem Moment erforderlich ist. Man kann dies als fortlaufenden Kreislauf sehen: Das Baby gibt ein Signal, die Eltern reagieren und lernen dabei, ob sie richtig reagiert haben. Das Baby wird mit der Zeit ein immer besserer Signalgeber, und die Eltern werden durch das konstante Üben immer bessere Signalversteher. Unterm Strich vereinfacht und verbessert dies die Kommunikation zwischen Eltern und Kind:
Ihr Konzept hat das Ehepaar Sears auf den sogenannten sieben „B’s“ aufgebaut, sieben Begriffe die die Säulen des Konzeptes darstellen und ihm einen Rahmen geben. Im Folgenden sind diese Säulen kurz beschrieben:
Birth Bonding
Die Tage und Wochen nach der Geburt werden als sehr sensible Phase gesehen, die darauf ausgerichtet sein sollte, dass sich Bezugsperson und Baby so nah wie möglich kommen. Das „biologische Paar“ erhält einen guten Start zu einer Zeit, in der das Kind am schutzbedürftigsten ist und die Bezugsperson am ehesten gewillt ist, sich um es zu kümmern. Es ist allerdings nicht als sofort wirkender Sekundenkleber zu verstehen, ohne den die Bindung nicht zustande kommen kann. Das sofortige Bonding nach der Geburt ist laut dem Ehepaar Sears eher als Vorsprung zu sehen. Denn auch wenn vielleicht medizinische Komplikationen eine sofortige Nähe nach der Geburt nicht zulassen, so kann sich natürlich trotzdem noch eine enge Verbindung einstellen. Bonding wird als lebenslanger Prozess im Zusammenwachsen mit dem Kind gesehen.
Breast Feeding
Stillen verschafft dem Baby durch seine vielen positiven Eigenschaften einen guten Start ins Leben. Die Nähe und Vertrautheit zwischen Mutter und Kind wächst, die richtigen Hormone lassen die Muttergefühle noch zusätzlich aufleben.
Babywearing
Durch Tragen am Körper kann ein Baby unglaublich viel von seiner Umwelt lernen, da viele Babys hier meistens in einem ruhigen, aufmerksamen und aufnahmefähigen Stadium sind. Auch hier sind Nähe und Vertrautheit wichtige Faktoren.
Bedding
Die Aussage zur Schlafumgebung lautet: Dort, wo alle aus der Familie den besten Schlaf bekommen, ist die richtige Umgebung. Das Familienbett wird aber als zusätzlicher Bonus noch hevorgehoben: Hier ist es möglich, die Verbindung zum Kind durch Körperkontakt nachts nachzuholen, wenn es tagsüber z.B. durch Arbeit nicht möglich ist.
Believe in Babys Cries
Babys weinen um zu kommunizieren, nicht um zu manipulieren. Jedes Schreien des Babys soll ernst genommen und darauf entsprechend reagiert werden, denn das Schreien ist ein Überlebensmechanismus unserer Kleinen. Durch Reagieren auf Weinen und Schreien lernen Babys, dass sie ihren Eltern vertrauen können. Eltern wiederum werden dadurch bestärkt, wenn sie ihr Baby beruhigen können. So wächst die Verbindung zwischen beiden Seiten durch jedes Reagieren stetig an.
Beware of Baby Trainers
Hiermit sind extreme Erziehungsstile und unnachgiebige Methoden gemeint. Ratschlägen, die eine Uhr oder einen Zeitplan befolgen und nicht das Baby in den Mittelpunkt stellen, sollen Eltern kritisch gegenüber stehen. Sie verpassen die Chance, die echten Experten für ihr Kind zu werden, da sie eher Distanz zwischen das Kind und sie bringen.
Balance & Boundaries
Diese 7. Säule des Attachment Parentings wurde erst später hinzugefügt, nachdem Kritik laut wurde. Der Hintergedanke ist, dass es unglaublich viel Kraft kostet, seinem Kind so viel zu geben, und man leicht in eine Aufopferungsrolle fallen kann. Damit auch die eigenen Bedürfnisse der Bezugsperson nicht ganz in Vergessenheit geraten, liegt der Schlüssel eben darin, eine ausgewogene Balance zu finden und angemessen auf das Kind zu reagieren – man darf „ja“ sagen, man darf aber auch „nein“ sagen und man darf vor allem auch sagen, wenn man Hilfe benötigt und sich überfordert fühlt.
Ganz wichtig: diese 7 Säulen sind nicht als Schritt-für-Schritt-Plan zu sehen, dessen Punkte in dieser Reihenfolge abgearbeitet werden müssen! Sie sind Hilfestellungen und Werkzeug zu einem bindungsorientierten Umgang mit unseren Kindern. Es gibt immer wieder Umstände, medizinische oder auch situationsbedingte, die die volle Auslebung aller 7 Punkte gar nicht zulassen. Das ist nicht schlimm! Man kann es als Starthilfe sehen, einen Einstieg in das Thema zu finden. Danach muss jede Familie sowieso ihren eigenen Stil finden. Das Wichtige hinter diesen Punkten ist die Verbundenheit zwischen Kind und Bezugspersonen.
Seitdem der Begriff „bedürfnisorientiert“ auch nach Deutschland gekommen ist, wurde er ein wenig verwässert. Es kommt vor, dass BO gleichgesetzt wird mit Windelfrei-Konzepten oder „no Kita“, sowie manchmal sehr starren Einstellungen der Eltern. Dies lässt sich vor allem in Großstädten beobachten. Mit den Ursprüngen des Attachment Parenting hat dies aber meistens nichts zu tun.
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